Was ist Mathematik? Motivation des Mathematikstudiums
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Warum Mathematik studieren? Als ein Argument wird oft (und richtigerweise) angeführt, dass die Mathematik in vielen Bereichen des täglichen Lebens eine wichtige (wenn auch oft unsichtbare) Rolle spielt: In technischen Geräten wie Computern, MP3-Playern, Kameras; im Internet-Verkehr bei Verschlüsselungsalgorithmen und Optimierung der Datenströme in einem Netzwerk; in der Medizin, den Wirtschaftswissenschaften, den Ingenieurwissenschaften und natürlich den klassischen Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik.
Andererseits werden in den Anfängervorlesungen Lineare Algebra und Analysis in hoher Geschwindigkeit die Grundzüge der jeweiligen Theorien dargestellt, üblicherweise ohne groß auf Anwendungen oder die historische Entwicklung der Theorie einzugehen. Dies geschieht so aus gutem Grund:
- Im weiteren Studium wird überall die grundlegende Theorie benötigt. Einzelne Anwendungen spielen jeweils nur in Teilbereichen eine Rolle und sollten besser dort behandelt werden.
- Es ist wesentlich leichter, Anwendungen vorzustellen, wenn die Theorie bereits beherrscht wird, und viele Anwendungen moderner Mathematik erfordern Kenntnisse, die über die Anfängervorlesungen hinausgehen.
- Es wird zu recht von den Studenten erwartet, dass sie ein genügend hohes “Grundinteresse” an Mathematik mitbringen, dass sie bereit sind, eine gewisse Menge an mathematischer Theorie zunächst um ihrer selbst willen zu lernen, und das Studium möglicher Anwendungen aufzuschieben.
Ehrlicherweise muss also gesagt werden, dass der Standardaufbau des Mathematikstudiums, der an allen deutschen Universitäten üblich ist, die Verantwortung, die gelernte Mathematik in den Kontext ihrer Anwendungen und ihrer historischen Entwicklung einzuordnen, zu einem großen Teil dem einzelnen Studenten übertragen wird (sofern dies gewünscht wird – man kann natürlich die Anwendungen der Theorie auch ignorieren und, je nach Spezialisierungsgebiet, auch so ein Mathematikstudium erfolgreich abschließen).
Auf dieser Seite gebe ich einige Referenzen, die es Ihnen erleichtern sollen, entsprechende Eigeninitiative zu entwickeln.
Was ist Mathematik
Zu dieser Frage empfehle ich als erstes den “Klassiker”
D. Hilbert, R. Courant, Was ist Mathematik, Springer-Verlag
Dieses Buch ist mit Schulwissen zu lesen (allerdings nicht immer leicht) und vermittelt einen guten Eindruck von vielen mathematischen Problemstellungen und damit von der Frage, was Mathematik ist.
Einige weitere Bücher:
T. W. Körner, The pleasures of counting, Cambridge University Press
T. Gowers, Mathematik, Reclam (oder das englische Original, A very short introduction to mathematics, Oxford University Press)
T. Gowers et al. (eds.), The Princeton Companion to Mathematics, Princeton University Press
E. Frenkel, Liebe und Mathematik: Im Herzen einer verborgenen Wirklichkeit, Springer Spektrum (oder das englische Original: Love and Math: The Heart of Hidden Reality, Basic Books)
Speziell mit Bezug auf die Lineare Algebra sind auch die Seiten 1-33 des Buchs
E. Brieskorn, Lineare Algebra und Analytische Geometrie I, Vieweg-Verlag
lesenswert. Dort wird vor allem der Symmetriebegriff, der in der Mathematik und in allen Naturwissenschaften von großer Bedeutung ist, diskutiert.
Die Frage Warum Mathematik? wird auch, und zwar mit konkreter Bezugnahme auf den Schulunterricht in dem folgenden Redemanuskript angesprochen:
M. Lehn, Mathematik – aber wie?
Weitere Texte von Manfred Lehn: Wie bearbeitet man ein Übungsblatt Wie halte ich einen Seminarvortrag
Anwendungen der Linearen Algebra
Während der Sinn der Analysis sich den meisten Studierenden leicht erschließt (oder zumindest aufgrund der Schulbildung eine größere Vertrautheit damit besteht), fällt es vielen nicht so leicht, sich mit dem Thema der zweiten Anfängervorlesung, der linearen Algebra, anzufreunden, obwohl deren Bedeutung nicht weniger fundamental ist.
An dieser Stelle möchte ich die Wichtigkeit einiger zentraler Begriffe der LA-Vorlesung illustrieren (und gebe am Schluss weiterführende Verweise auf Literatur, in der auch Anwendungen außerhalb der Mathematik diskutiert werden).
Lineare Gleichungssysteme. Lineare Gleichungssysteme sind (direkt und indirekt) ein wesentlicher Punkt der linearen Algebra. Methoden, sie zu lösen, und LGS theoretisch zu verstehen, spielen in der gesamten Vorlesung eine Rolle, und sind in der gesamten Mathematik und in vielen anderen Wissenschaften und Anwendungen sehr nützlich.
Lineare Abbildungen. Lineare Abbildungen sind gerade die Abbildungen, die man natürlicherweise als Abbildungen zwischen Vektorräumen betrachtet. Überall in der Mathematik kommen lineare Abbildungen vor. Zum Beispiel ist ein wesentliches Werkzeug der Analysis die Annäherung von Funktionen durch (affin-)lineare Abbildungen – dass sich eine Funktion in dieser Weise gut annähern lässt, ist gerade die Eigenschaft, differenzierbar zu sein.
Gruppen. Der Begriff der Gruppe ist die mathematische Methode, den Begriff der “Symmetrie” zu beschreiben. (Man denke an die Untergruppe der $GL_n$ aller Abbildungen, die ein gegebenes geometrisches Objekt in $K^n$ auf sich selbst abbilden.)
Determinante. Abgesehen von der offensichtlichen Bedeutung des Determinantenbegriffs innerhalb der linearen Algebra spielt er auch an vielen anderen Stellen eine Rolle – zum Beispiel mittels der Interpretation als Volumen in der Transformationsformel in der höherdimensionalen Integrationstheorie.
Bilinearformen. Bilinearformen (also bilineare Abbildungen $V \times V \rightarrow K$, $V$ ein $K$-Vektorraum) ermöglichen es, von Winkeln zwischen Vektoren und von Abständen zu sprechen. Sie sind daher von großer Bedeutung in der analytischen Geometrie.
Anwendungen der linearen Algebra außerhalb der Mathematik
Biologie.
- Phyllotaxis: Die Blattstellung von Pflanzen oder die Anordnung von Samenkörnern z.B. in einer Sonnenblumenblüte. Ausgehend von einem mathematischen Modell kann man die in einer solchen Blüte sichtbaren “Muster” beschreiben. (Unter anderem) zu diesem Thema hat im WS 2010/11 ein Seminar stattgefunden; im Programm werden Literaturverweise gegeben.
- Matrixmodelle für das Wachstum einer Population. Man kann dann Eigenwerttheorie benutzen, um auszurechnen, mit welcher Geschwindigkeit die Population langfristig wächst bzw. bei welcher Größe sich ein stabiler Zustand einstellt. Siehe zum Beispiel Allman, Rhodes, Mathematical Models in Biology, Chapter 2.
- Farbwahrnehmung. Die vom Menschen wahrnehmbaren Farben bilden (mehr oder weniger) einen Vektorraum, der zum Beispiel von den drei Farben rot, grün, blau erzeugt wird. Siehe zum Beispiel Feynman, Leighton, Sands, The Feynman Lectures on Physics, vol. I.
Chemie.
Symmetriebetrachtungen sind wichtig um Strukturen von Kristallen oder von großen Molekülen zu untersuchen.
Physik.
In der Physik ist Mathematik und damit auch lineare Algebra allgegenwärtig. Der uns umgebende Raum wird als Vektorraum $\mathbb R^3$, zusammen mit der Zeitkoordinate als $\mathbb R^4$ (und zum Beispiel in der Stringtheorie als höherdimensionaler Vektorraum) modelliert. Die Richtung eines sich im Raum bewegenden Teilchens ist durch einen “Vektor” gegeben. Statikberechnungen (etwa bei Konstruktion einer Brücke) führen auf Probleme (auch) der linearen Algebra. Eigenwertprobleme spielen oft eine Rolle, zum Beispiel bei Kreiselgleichungen (Existenz von Drehachsen), oder bei der Untersuchung der Schwingung einer Saite (und damit auch in der Musik).
Informatik
(Eine vereinfachte Form von) Googles page rank Algorithmus zur Bewertung der Bedeutung von Webseiten ist ein sehr großes Eigenwertproblem. Siehe D. Austin: How Google Finds Your Needle in the Web’s Haystack
Lineare Algebra in der Schule
Die lineare Algebra ist auch im Schulstoff fest verankert (wenn auch in anderer Form als die Theorie an der Universität behandelt wird). Lineare Gleichungssysteme werden in der Mittelstufe behandelt. Die analytische Geometrie steht in sehr enger Verbindung zur linearen Algebra. Um die große Überschneidung zu unterstreichen, hier einige Begriffe aus dem Stichwortverzeichnis von Lambacher, Schweizer, Lineare Algebra mit analytischer Geometrie, Leistungskurs, Klett 2001.: Assoziativgesetz, Basis, Cramersche Regel, Determinante, Distributivgesetz, Drehung, Eigenvektor, Eigenwerte, Gauss-Verfahren, Gleichungsssystem (lineares, homogenes, inhomogenes, …), Kommuttaivgesetz, linear abhängig, linear unabhängig, Linearkombination, Lösungsmenge, Matrix, Matrixdarstellung einer affinen Abbildung, Matrizenprodukt, Nullvektor, orthogonale Vektoren, Skalarprodukt, Spiegelung, Standardbasis, Vektorraum, Basis, Dimension eines Vektorraums, Winkel zwischen Vektoren.